Der stumme Mahner

aus "Die Liebe in der Wasserburg", © 1994 Rhino Verlag Arnstadt

Einst lag in dieser Gegend zwischen Thangelstedt und Rittersdorf die im Dreißigjährigen Krieg verwüstete Gemeinde Markersdorf.

Ihr Pfarrer und Magister Hieronymus Güldenzopf stammte aus Blankenhain und war ein hoch gewachsener, starker Mann, dem man ansah, dass er nicht immer ein demutsvoller Geistlicher gewesen. Erst hatte er das Studium der Rechte begonnen, ehe er sich nach dem Tode seines besten Freundes, der in einem der zahllosen studentischen Händel fiel, Trost bei der Theologie suchte und fortan - ehedem selbst ein gar rauflustiger Geselle - gegen Hader und Gewalt zu Felde zog. Dazu hatte er während des Dreißigjährigen Krieges überreiche Gelegenheit.

Mit Frau und Tochter aus dem kleinen Pfarrhaus vertrieben und den Drangsalen durch die 1627/28 in und um Blankenhain einquartierten französischen Kriegsknechte unter Führung von Oberst Graf Johann von Merode ausgesetzt, wurde er nicht müde, den gequälten Bauern Trost zuzusprechen und mit dem Letzten aus seiner Tasche zu helfen.

Eines Tages saß er voll tiefer Verzweiflung über die nicht enden wollenden Gräuel in der ihm verbliebenen kleinen Kammer, als plötzlich Hilferufe an sein Ohr drangen. Noch ehe er sich erhoben hatte, stürzte die Tochter herein, kalkweiß das Gesicht, die Bluse zerfetzt. Mühsam nach Luft ringend, konnte sie nur noch stammeln:
"Ein Reiter ... Er hat mich verfolgt ..."

In diesem Moment splitterte die Tür unter dem rohen Tritt eines schweren Stiefels, und im Zimmer stand der Unhold. Gierig stierte er auf die Jungfrau, die sich in der hintersten Ecke zusammengekauert hatte. Schon kam er näher, wollte nach ihr greifen, da wirbelte ihn ein kräftiger Arm herum, und wuchtige Schläge prasselten auf ihn ein. Als dann der Vater noch in wildem Grimm das Beil aus dem Spind riss, entfloh der Wüstling mit bösem Racheschwur.

Es folgten Monate, da allmählich wieder Ruhe in das Dorf einkehrte. Die französischen Truppen waren abgezogen, die Felder mit dem restlichen Saatgut recht und schlecht bestellt, und auch das geschändete Gotteshaus hatte man notdürftig hergerichtet. Vollzählig war dort am 3. Mai 1629 die kleine verbliebene Gemeinde zur Sonntagspredigt versammelt. Gerade wollte der Pfarrer den Segen sprechen, als durch die schmalen Kirchenfenster Hufegetrappel, Waffenklirren und laute Kommandorufe ertönten. Dann öffnete sich krachend die Pforte, und herein stürmte eine wilde Horde: die zurückgekehrten Kriegsknechte Merodes.

Lähmendes Entsetzen ergriff die Gläubigen. Hilflos den blutrünstigen Feinden ausgeliefert, erwarteten sie zitternd das Ende. Einige hatten sich Schutz suchend um den Altar und die hohe Gestalt des Geistlichen gedrängt, doch sie wichen scheu zur Seite, als sich einer der rohen Eindringlinge mit gezückter Klinge und hassverzerrtem Gesicht näherte. Vor dem furchtlos blickendem Pfarrer blieb er stehen und sagte höhnisch: "Gott zum Gruße, Pfaff! Hab ich dir nicht gesagt, dass wir uns wiedersehen werden - damals, als du mich in deinem Haus so gastlich bewirtet?"

Da erkannte Hieronymus Güldenzopf den Bedränger seiner Tochter und wusste sogleich, dass dieser sein Mörder werden würde. Wohl quoll in ihm das Verlangen nach handgreiflichen Widerstand hoch, doch er sah die Sinnlosigkeit und meinte auch, damit das Los der Einwohner noch zu verschlimmern. So hob er nur die Hände über die Todgeweihten, ehe ihm das Schwert in die Brust fuhr.

Das war das Signal für ein furchtbares Gemetzel. Greise wie Kinder wurden hingeschlachtet, die Frauen geschändet, die Häuser verbrannt. Am Abend war aus dem einst blühenden Dorf ein schwelender Trümmerhaufen geworden, über dem die Raben schauerlich krächzten. Noch in derselben Nacht soll an der anklagend in den Himmel gereckten Ruine der Kirche die Schattengestalt des ermordeten Pfarrers erschienen sein, seine Gemeinde suchend, den Krieg verfluchend.

Auch in den folgenden Jahren will man ihn dort gesehen haben - als stummen Mahner an die Menschlichkeit und Nächstenliebe.

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